Neulich stellte Gregg Braden in einem Vortrag die Frage: Wie können wir die wichtigen Entscheidungen, die heute notwendig sind, fällen, wenn wir noch nicht wissen, was es bedeutet, ganz Mensch zu sein? Er setzt mit seiner Frage voraus, dass wir noch nicht vollständig wissen, wer wir sind. Er setzt voraus, dass wir unser Potential noch besser kennen und ausschöpfen sollten. Und er setzt diese erweiterte Menschenkenntnis als Bedingung für gute Entscheidungen im Leadership. Er erläutert dann auch, was er mit Leadership meint: Nämlich, dass jede und jeder ein Leader ist in ihrem oder seinem ‚circle of influence‘, egal ob Mutter, Vater, Erzieherin, Lehrer, Geschäftsfrau, Teamleiter, Bereichsleiter, CEO.

Unser Menschenbild beeinflusst unsere Entscheidungen

Mit jeder Entscheidung beeinflussen wir den Gang der Geschichte, beeinflussen wir Wirtschaft, Gesellschaft, und die Erde – unser Klima, mit jeder Entscheidung beeinflussen wir Erziehung, Kunst und Kultur. Es macht etwas aus, wo wir einkaufen. Insbesondere in Zeiten der Pandemie wird deutlich, wie einige wenige für die meisten anderen weitreichende Entscheidungen treffen. Die Frage stellt sich: Welches Menschenbild haben die, welche für und über uns entscheiden? Und welches Menschenbild habe ich selbst? Wissen wir, wer wir sind, oder werden könnten?

Post-Materialistic-Science

In meinem Buch Fully Human weise ich kurz auf eine neue Richtung der Wissenschaften hin, die sich ‚Post-Materialistic-Science‘ nennt. Auf der Website opensciences.org findet man ein Manifesto für eine Post-Materialistic-Science, unterschrieben von über 400 Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen. In dem Manifesto wird in 18 Punkten dargelegt, wie die Wissenschaft erweitert werden kann, sodass sie auch die nicht-materiellen Phänomena miteinbezieht. In Punkt 16 heißt es: „It seeks to expand the human capacity to better understand the wonders of nature, and in the process rediscover the importance of mind and spirit as being part of the core fabric of the universe.“ Ich übersetze das so: „Sie (die post-materialistische-Wissenschaft) sucht nach einer Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten, sodass wir die Wunder der Natur besser verstehen lernen, und dass wir in diesem Prozess die Bedeutung von Bewusstsein und Geist wiederentdecken, dass wir verstehen, wie sie ein wichtiger Teil des Universums und seiner Zusammensetzung sind.”

Paradigmenwechsel

Ich sehe das als Teil des Paradigmenwechsels, als Aufruf, unser Menschenbild zu erweitern. Der Paradigmenwechsel hat viele Aspekte, von denen hier nur einige wenige angesprochen werden können. Wir sind nicht nur materielle Wesen, die durch Zufalls-Selektion entstanden sind, und deren Gehirne bestimmen, wie wir leben. Ein erster Schritt in Richtung eines erweiterten Menschenbildes kann sein, das Denken, Fühlen und Handeln als nicht-materielle Fähigkeiten aufzufassen, die einen Körper brauchen, um sich auszudrücken, um die eigene Biographie zu leben.

Gegenwärtige Präsenz

Vom Denken, Fühlen, und Handeln, nutzen wir überwiegend Denken und Tun. Wir streben nach Objektivität im Urteilen und Handeln und blenden dabei unsere Emotionen aus, weil wir meinen, dass diese ja subjektiv sind und dadurch eher stören. Daniel Sieben schreibt auf LinkedIn: „Im Fühlen treten wir wieder mit der Wirklichkeit in Beziehung, in der Wahrnehmung dessen, was hier und jetzt ist. Diese gegenwärtige Präsenz kann nur erfahren und nicht gedacht werden.“

Emotionen dürfen und sollen mit einbezogen werden

Das würde bedeuten, dass ich mich ganz persönlich in die Situation einbringe, dass ich – statt zu versuchen, objektiv zu sein – die Situation ganz persönlich und emotional mitmache, sie also subjektiv erlebe und wahrnehme. So passiert es auch. Nur blenden wir es in vielen Fällen aus und erzeugen auf diese Weise emotionale Verwerfungen. Die emotionale Seite, das Fühlen, ist immer dabei und wirkt viel stärker, als wir es oft wahrhaben wollen. Vielleicht muss alles wieder persönlich werden, auch und gerade im Leadership und Business. Denn alle Zusammenarbeit ist ja mit Menschen und für die Menschen, also ganz und gar nicht objektiv, sondern ganz individuell und persönlich – also mit recht subjektiv.

 

 

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